Stefan Fricke

Interview mit Tilman Küntzel, HR2 Radio, Januar 2010

1a) Was ist das: Klangkunst (Versuch einer Definition)
Eine missverständliche Übersetzung aus dem Englischen von Sound-Installation/Sound Art erstmal – und dann der Versuch eine neue Gattung innerhalb der Musikrezeption zu etablieren vielleicht, an der sich in seit einigen Jahren vornehmlich Berliner Musikwissenschaftler abarbeiten. Mehr der Überbegriff eines Diskurs.
In der deutschen Übersetzung vielleicht in Anlehnung an Begriffe des ausgehenden 19ten Jahrh. wie „Tonkunst“, “Tondichtung“ oder „Tonmalerei“…
Ton ist ja eine messbare physikalische Größe aber Klang ist gar nichts und alles. Alles was schwingt lässt sich für die menschliche Wahrnehmung transponieren und als Klang wahrnehmen, insb. die Brechung von Klang im Raum.

1b) Was ist keine Klangkunst?
Wahrscheinlich gar nichts ist keine Klangkunst.
Selbst die Stille im Weltraum müsste doch Klangkunst sein, weil sie in Abwesenheit physikalischer Modelle besteht. Alles was schwingt berührt uns, weil der Mensch zu 70% aus Wasser besteht und Wasser transportiert Schwingungen sehr gut. Also: Körper ohne Schwingung, also ohne Wahrnehmung geht nicht, auch wenn sie nur feinstofflich ist.

2)  Bist du ein Klangkünstler, oder hast du eine andere Definition für dein Tun?
Für so manchen Musikwissenschaftler bin ich Klangkünstler weil ich Dinge mache, die in diesen Diskurs passen. Aber studiert habe ich frei Kunst am Lerchenfeld in Hamburg bei Claus Böhmler und Erst Mitzka und das ist was ich bis heute mache.  In meinem Studium 86 – 92 gab es viele Fluxus-Künstler an der Kunsthochschule die von René Block geschickt und von KP Brehmer eingeladen wurden. Da stecken Konzepte dahinter, auch Lebenskonzepte – also eigentlich trifft Konzeptkunst mit dem Hang zum audiophilen für mich am besten.
Was ich mache ist Enviroment gestallten und erforschen. Daraus entstehen auch Objekte, Ton- und Videoarbeiten.

3 a) Was kann der Klang was sichtbare Materialien nicht können?
Alles!
Was wir sehen sind Dinge und Formen. Hätten wir nicht gelernt was sie bedeuten wären es nur Strukturen mit unterschiedlichen Farbwerten. Erst der Klang beschreibt uns den Raum, indem diese Dinge einen Sinn ergeben.

3.b) Was kann das Sichtbare was Klänge nicht vermögen?
Alles, oder auch gar nichts!
Immerhin sehen nur die Affen so wie wir. Andere Lebewesen sehen anders, je nachdem was für ihre Arterhaltung relevant ist. Fledermäuse durch Schall, Schalentiere durch Rezeptoren an den Füßen, Ameisen durch Chemie wie auch die Pflanzen, usw.
Die Augen sind bei uns die Kameralinsen mit direktem Draht zum Hirn, das dem Gesehenen erstmal einen Sinnfindungsprozess unterzieht bei der der Klang eine wichtige Rolle spielt, wie auch der Geruch und das Haptische. Der Klang ist hier auch für die emotionale Bewertung maßgebend, also ob Freund oder Feind – vom Faktor Eigenerfahrung ganz zu schweigen….

4) Wie würdest du deine eigene Kunst beschreiben?
Vielschichtig.
Es sind immer Wahrnehmungszustände, als Installation, Objekt oder Ton – und das gerne im Umgang mit Fundstücken, Assesoirs aus den Elektronik-Läden. Eigentlich eine Medienkritik auch an den Hörgewohnheiten. Dasakustische Ereignis wird durch die Object Trouvés teilweise selbst generiert, durch deren spezifischen Leuchtintervalle z.B. – und immer pur, ohne Sounddesign. Aber was gehört denn dazu, dass Kunst entsteht?
Erst einmal einen Betrachter, der es als Kunst erkennt. Dann ein Charisma, das dem Kritiker, Museumsdirektor oder Kurator die Anwesenheit von Kunst glaubhaft macht.
Dann die Kenntnis über Kunstmarktmechanismen, wie sie z.B. Demien Hirst uns vermitteln, und, und, und.

5) Ist Klangkunst ein eigenständiges künstlerisches Genre oder Gattung?
Es kann gut sein, dass einige Rezipienten unter diesem Label gute Erfahrung machen, wenn nicht sogar Schlüsselerlebnisse erfahren wie z-B. – das Entdecken der Ohrmuscheln links und rechts am Kopf. Für diese Leute wird Klangkunst vielleicht zum Genre, weil sie diese Erfahrung z.B. aus der Distanz eines Büroalltags sonst so nicht gemacht hätten.
Aber für ein eigenständige Genre gibt es vielleicht zu viele Verfransungen von Parametern, die auch Teil anderer Gattungen sind: Medienkunst, Installation, Skulptur, Soundscape, Musique Concret, Sonification, Performance… Man kann keine Grenzen stecken, außer an individuellen Konzepten einzelner Künstler vielleicht.

6) Wo liegt deiner Meinung nach die ästhetische Wurzeln der Klangkunst.
Eben in der Ohrmuschel.
Ein geniales Gebilde, das sich in den letzten 300 Millionen Jahren entwickelt hat, seit die Erde vor etwa 600 Millionen Jahren anfing durch Bakterien eine oxygene Atmosphäre zu bilden in der sich Schall fortsetzen kann.
Und neuzeitlich vielleicht bei den Futuristen, die den industriellen Lärm und damit das Geräusch ästhetisiert und zur „hohen Kunst“ stilisiert haben. Da kann ich Kodow Eshun zitieren: „Der Futirist erbaut konzeptuelle Soundfahrzeuge, neue Archen für die Erforschung unerhörter Soundwelten“.

7) Wie kam dann die offensichtliche notwendige Verbindung von Auge und Ohr zustande?
„Notwendige Verbindung“ – das sagst du, weil du hier dieser Wortschöpfung Klangkunst auf den Grund gehen möchtest.
Wenn diese Wortschöpfung in Anlehnung an den Begriff Tonkunst entstanden ist, dann kann man auch gerne die Augen schließen um eine ästhetische Erfahrung zu machen, denn die Bilder entstehen ja im Kopf.
Ein äshetischer Formalgriff bei der Objektkunst ist ja auch gerne die Verwirrung durch Verschiebung der Sinngebungen, indem ein visueller Gegenstand z.B. mit dem „stofflichen“ Klang des Materials oder dem Klang dessen Herstellung konfrontiert wird.
„Hören gesehen als Denkprozess wie als Vorgang, der herkömmliche Gedankengänge und Assoziationen zum Entgleisen bringt“ – hat Didi Neidhart in einem Essay zu „Fluxus und the Art of Sound“ mal geschrieben.

8) Wie entstand bei dir die Lust, Neugier, Notwendigkeit, mit dieser Verbindung der Sinne zu arbeiten?
Ich bin in einer gutbürgerlichen Gegend aufgewachsen – mit Garten und Vögel darin und in der Ferne Bahntrasse und Sirenen. Mein Lieblingsplatz im Haus war unter dem Flügel. Gute Vorraussetzung für eine ganzheitliche Wahrnehmung. Diese Komplexität ist Normalzustand für mich.

9) Wie hat sich das dann in deinem Ausbildungsweg niedergeschlagen?
– biographische Skizze –
In diesem Elternhaus, einem akademischen Elternhaus wurde barocke Hausmusik praktiziert und es gab moderne Kunst an den Wänden: Hundertwasser, Nolde, Feininger, diverse Graphik…

9b) die musikalische Ausbildung
Im Kunststudium war ich ganz diszipliniert und habe systematisch alle Techniken gelernt.: Zeichnung, Radierung, Siebdruck, Holz-, Metallwerkstatt….
– und gleichzeitig als Gasthörer Kurse an der Musikhochschule in der Milchstrasse belegt: Formenlehre, Analyse, Komposition und so…

9c) die künstlerische Ausbildung
Als Studentenvertreter der feien Kunst habe ich dann ein Klangarchiv aufgebaut – mit Fachschaftsratgeldern – und Gäste eingeladen wie Hespos, Lilli Friedemann oder Pierre Favre – und Hörstücke im Multiplay-Verfahren produziert, oder graphische Notationen geschrieben und zur Jahresausstellung mit Komulitonen aufgeführt, Klangobjekte gebaut, klingende Mobiles uns so…
Gerhard Rühm war am Haus, KP Brehmer war ein Förderer, Carl Vogel, der damalige Präsident der Kunsthochschule auch. Er ist z.B. persönlich zu Mauricio Kagel nach Köln gereist um Ihn für einen Lehrauftrag an die Schule zu holen.  Ein gute Mann, ein Visionär…

10a) Erlebnis John Cage
Später im Studium waren die Künstler als Menschen für mich wichtig, wie sie sind, wie sie sich geben. John Cage hatte ich 1998 in Marseille kennen gelernt, bei einem Projekt von Sun Gui Kim. Er hatte die Offiziellen der Stadt beim Rotwein trinken blamiert, da diese beim Anstoßen nicht auf den Klang der Gläser geachtet hatten. Das fand ich toll. Dann über 2 Stunden „Emty Words“ auszusitzen, während fast das ganze Publikum inzwischen der Saal verlassen hatte – das war auch eine wichtig Erfahrung.
Aber auch Sigmar Polke als Mensch und Kumpel…, ganz normale Dinge mit ihm zu besprechen, das war das was mir im Studium am meisten gebracht hat.

10b) Erlebnis Joseph Beuys
Ich war ja vor der Kunsthochschule in einer Kunstschule, dem Hamburger Ableger der von Beuys und Johannes Stüttgen gegründeten FIU – Free International University, die damals von Günter Lirschow und Wolfgang Schanow geleitet wurde. Das war in dem Moment gut, weil ich viel gezeichnet habe. Aber diesen Beuys-Kult fand ich immer schrecklich und diese Beuys-Konzepte wie „jeder ist Künstler“ oder das 3. Weg-Wirtschaftsmodel und Grüne-Baumpflanz-Politik und Kojotengeheule fand ich auch doof. Der war doch wie ein Guru und die gesamte Kunstszene lag ihm zu Füßen. Ist ja heute auch weitestgehend entmysifiziert, nur seine Zeichnungen haben meines Erachtens noch standgehalten.

11) Viele Klangkünstler, also Installationsarbeiter, sind auch als Performer unterwegs und/oder arbeiten zeitweise ganz radiophon, manchmal grafisch kompositorisch…
Wie kommt es zu dieser Vielfalt, zu diesen Mischungen, der ökonomischen Situation  geschuldet??
Es gibt ja keine Genre-Polizei. Jeder kann Lautsprecher irgendwo hinstellen und sagen das ist eine Klanginstallation. Ich habe schon eine Dixiland-Band, die bei einer Vernissage in einer Bildergaleirei gespielt hat als Klangkunst deklariert gesehen. Es scheint schick zu sein Klangkunst zu machen. Gerade bildende Künstler, die auch mal ein Instrument gelernt hatten, oder Musiker, Elektoakustiker und Labtop Musiker heften sich den Begriff gerne an. Das hat sich inflationär ausgewirkt, sodass heute keiner mehr weiß um was es eigentlich geht.
Ein neues Genre kann nicht einfach deklariert werden, sondern muss auf einen geschichtlichen Hintergrund wachsen und jeder Kreative muss sich für sich selber kontextualisieren, sonst bleibt es Salonkunst, Unterhaltung.
Musikautomaten der Antike, Wagner, Skrjabin, Henri Kaul oder Varese oder Hermann Nietsch – es wurde schon so viel gemacht und gedacht. Zu viele Kreative beziehen sich auf sich selbst und versuchen den rasant expandierenden Möglichkeiten und Verfügbarkeit gerecht zu werden.
Klangkunst muss von der Kunst kommen. Die Genannten haben für mich große konzeptuell/künsterlische Relevanz. Das muss jeder für sich entdecken und jeder für sich interpretieren.
Es gibt unter den Musikwissenschaftlern für mich keinen, der jemals des Pudels Kern getroffen hätte wo man sagen könnte: „wow! Genau, so passt alles zusammen“.  So wie es mir bei Thomas McEvilley gegangen ist, dem amerikanischem Philosoph und Kunstkritiker. Alle Rezensionen die ich kenne kommen über die Beschreibung künstlerischer Aktivitäten einzelner nicht hinaus. Ein paar Fäden werden von hier nach da und von da nach dort gesponnen und so knüpft sich ein Autor sein Netzt in dem die Protagonisten der jeweiligen Publikation kontextualisiert werden.

12) Muss Klangkunst immer die Verbindung von Auge und Ohr sein, von Hören und Sehen? Oder kann Klangkunst auch nur für Auge sein oder nur für das Ohr. Geht das überhaupt und wie – oder müssen wir solche Arbeiten mit anderen Begriffen bekleiden?
Aber es ist doch gerade dieses Crossover woran sich dieser Diskurs abarbeitet: das Suchen nach Gattung in dieser schier unerschöpflichen medialen Verfübarkeit im Sinne der Suche nach einer – im Schelgelschen Sinne „progessiven Universalpoesie“.
Nur für Auge, nur für Ohr; da wären wir ja wieder bei den einzelnen Elementen die keine neue Begriffe brauchen.
Bei dem individuellen Werk des einzelnen Künstlers sind es die Elemente mit denen gearbeitet wird – jeder folg der eigenen Ästhetik die sich aus dem Gesammtwerk erklärt. Um das verstehen und beurteilen zu können, muss man diese monoistischen Arbeiten sicher auch beachten.

13) Welche Phänomene und Begriffe gäbe es deiner Meinung nach im Feld der Klangkunst noch genauer zu beobachten, zu beschreiben, zu bearbeiten, die bislang von der Kunst/Musikwissenschaft ausgespart geblieben sind?
Ausgespart – wir können nicht alle Texte kennen die weltweit geschrieben werden und – es gibt unendlich viele Aspekte die diese Audiovisualogie so ausfransen lässt.
Wichtige Themen für mich sind die Bioakustik, aber auch die Antropologie, Sozialwissenschaften und über allem die Neuroästhetik. Wahrnehmungspsychologie war für mich immer ein zentrales Thema, wird aber selten besprochen.
Wie gesagt: für mich muss es nicht das Hörbare sein. Am Anfang steht die Schwingung, die Frequenz, die Proportion, im Visuellen wie im Auditiven. Die Musikwissenschaft fing doch bei den alten Griechen an –  bei den Naturphilosophen als Naturwissenschaft.

14a) Der Raum, seltener Ort – davon ist immer wieder die Sprache. Wieso ist er für die Klangkunst so wichtig?
Wegen der Ohrmuschel.
Wahrscheinlich weil dieser Diskurs seine Anfänge u.a. in der Sound-Installation von Max Neuhaus sieht, die ja im öffentlichen Raum stattfanden.

14b) Sind die meisten Arbeiten wirklich situatinsbezogen? Gleiches oder Ähnliches begegnet uns in vielen, durchaus unterschiedlichen Räumen und Situationen…
Wie gesagt: es gibt da keine Polizei, dann müsste man beim Rezipienten anfangen. Gut ist, was als gut empfunden wird und schlecht ist, was als beliebig erscheint.
Ich habe viele Inviroments gestalltet, als audiovisuelle Installationen für bestimmte Räume. Das ist fast wie Theater / Bünenbild / Enviroment.

14c) Was ist mit Arbeiten für den White Cube oder die Black Box – also Arbeit als carte blache? Das sind ja Orte ohne individuelle Atmosphäre…
Inzwischen interessiere ich mich vornehmlich für den White Cube oder die Black Box. Alles andere ist mir zu beliebig, zu inviromental geworden.
Starke Räume sind schon von sich aus stark. Es ist peinlich wenn am erst einen „Ping“ hinzu fügen muss, damit auch jeder es merkt. Peinlich deshalb weil es nur verdeutlicht wie unaufmerksam die Leute durchs Leben gehen.
Das sieht man auch gut an den neuen Räumen der Singuhr-Hörgalerie im ehemaligen Wasserspeicher in Berlin-Prenzlauer Berg. Der Raum ist so extrem, so stark: es gab meines Empfindens noch keine Arbeit dort, die funktioniert hätte. Selbst ein Räuspern funktioniert da schon als Klangkunst.
Die Intensität meiner Arbeit kommt von Innen und füllt das neutrale Umfeld eines White Cube oder Black Boxe aus und gibt ihm eine neue Seele.

15) Die akustische Anteile der Klangkunst sind zeitlich kaum länger als bloß ein paar Minuten strukturiert, eben so, dass es gerade für ein Loop reicht. Selten nur ist die akustische Seite im Sinne eines eigenständigen Stücks durchkomponiert. Warum?
Das kann man so nicht sagen. Mit einem Labtop oder Sampler vielleicht.
Ortsbezogene Klanginstallationen sind ja oft als Endlosereignisse konzipiert, gerade wenn im Sinne der Sonification Fremdparameter in algorhythmische Prozesse umgewandelt werden, die dann als Hörergebnis in Echtzeit, also live und Endlos hörbar sind.

15b) Ist der Loop ein Problem oder eher ein Segen?
Ohne Loop kein Stefe Reich.

15b) Eigenzeit – was meint das eigentlich?
Im Sinne der Sonification?
Der Algorhythmus generiert sich durch Parameter anderer real-time Verläufe wie Gezeitenunterschiede, Bewegung, Temperatur. Diese werden durch entsprechende Sensoren abgetastet und mit entsprechender Software direkt in ein Klangereignis umgerechnet und hörbar genmcht, durch einen vorher festgelegten Algorhythmus – live, in Echtzeit und Endlos.

16) Die Technik – Lautsprecher, Aufnahme- und Wiedergabetechnik, Soft- und Hardware – spielen eine zentrale Rolle in der Klangkunst. Spielt auch das Design, die Verpackung der jeweiligen Industrieprodukte eine Rolle: Wie die Lautsprecher aussehen, Verstärker etc.
Mit dieser Frage verschreckst du jetzt sicher so manchen Klangkunst-Musiker, der noch nie an diesen Aspekt gedacht hat. Obwohl, ich habe schon rot und blau angemalte Membranen gesehen.
Selber habe ich das immer vermieden, habe aber auch selten akusmatische Installationen gemacht. Wenn, dann sind Kabelwege und Lautsprecher ein bewusst inszeniertes ästhetisches Element der Installation und die Technik verborgen.

17) Viele Arbeiten der Klangkunst sind bemerkenswert schön, entsprechen Vorstellungen des Designs. Selten sind sie sowohl in Bezug auf den Klang als auch in Bezug auf die visuelle Gestaltung ruppig, schroff, widerborstig, kantig, zeigen kaum Gebrauchsspuren, sondern präsentieren sich meist wohlfeil, gesetzt, hübsch, mithin harmlos.
Ja, die Verhübschung der Welt.
Kann man machen – ein „shilliges“ Enviroment. Interessiert mich aber gar nicht.
Das liegt vielleicht auch daran, dass Licht und Klang im Raum oft und unterbewußt als esotherisch/religiöses Ereignis interpretieret wird und vom Betrachter sowie vom Veranstalter auch so erwartet wird. Das ist sicher die unreflektierte christliche Liturgie, die da mit uns durchgeht. Seit dem frühen Mittelalter sind die Menschen ja darauf konditioniert. Unser gesellschaftliches Leben ist nach wie vor sehr stark indoktriniert vom Christentum… ich beobachte das.

18) Welche Bedeutung haben Kataloge für die Klangkunst oder auch CDs. Sie sind ja kaum geeignet das multisensorische der Klangkunst angemessen wiederzugeben. Sie dienen ausschließlich der Dokumentation. Der Film wäre sicher besser geeignet, aber es gibt kaum welche…
Nichts ersetzt den inividuellen Eindruck der ein Betrachter im Raum erlebt.
Sowie kein Spielfilm der auf einer Novelle beruht den Eindruck ersetzt, den der Leser des Buches gehabt hat.
Jedes Medium steht für sich und jedes Individuum macht seine ganz eigene Erfahrung. Die Dokumentation ist ein Erinnerungsträger durch die das selbst erlebte wieder wach gerufen werden kann. In der Kunst, insb. für Galeristen ist ein Katalog nicht viel mehr als ein Hochglanz-Warenkatalog.
Bilder, Klänge oder Film-/Videodokumentationen sollten für mich immer auch eine eigene Ästhetik haben, sodass sie als Bild- oder Tonkunst alleine stehen können. Mir sind schon Videodokumentationen gelungen, die dann als eigenständige Videoarbeit gut funktioniert haben.

19) Wie müsste, sollte die Gesellschaft mit der Archivierung, mit der Bestandsicherung von Klangkunst umgehen? Sollte es ein eigenes Museum, ein Zentrum der Klangkunst mit vielen Wechselausstellungen zur Thematik geben?
Das ist wünschendswert.
Dafür gibt es Restauratoren, die bemüht sind die Technik der Zeit, in der ein Medienkunst-Artifakt entstanden ist zu bewahren und gangbar zu halten. Umkopieren von Kassette auf CD beispielweise, oder von 16 mm auf Video geht nicht. Angekauft werden muss also das komplette Equipment einer Arbeit. Auch müssen die Räumlichkeiten der Situation bei der Uraufführung möglichst den Grundeigenschaften des Originals nachempfunden werden. Das bedarf guter und umsichtiger Kuratoren, die auch – und in erster Linie – den konzeptuellen Ansatz des jeweiligen Künstlers verstanden haben müssen.

20) Die Klangkunst, so scheint es, ist in der Neuen Musik weitestgehend angekommen. Sie ist auf vielen Festivals präsent, viele Musikschreiber berichten über sie. In der Bildenden Kunst scheint das, obgleich hier ist einiges in Bewegung, nicht so der Fall zu sein. Selten schreiben Kunstkritiker darüber. Warum ist das so?
Wie gesagt: der Klangkunst-Diskurs schweb über einzelnen individuellen künstlerischen Strategien und Sammelt Aspekte aus allen Bereichen der Audiovisualogie  um diese unter einen Hut zu bringen.
Ich habe die Trennung von Bild und Ton nie verstanden. Der akustische Raum ist im Leben, sowie bei der Bildbetrachtung doch immer da und beeinflusst das Sehen sowie verschiedene Lichtverhältnisse die Farben beeinflussen. Viele Kunstkritiker haben immer gesagt: Musik? Damit kenne ich mich nicht aus. Viele Kunstprofessoren lassen auch die Studenten alleine die mit den Ambitionen kommen medienübergreifend zu arbeiten. Das habe ich selbst während meiner Gastdozentur an der UdK-Berlin immer wieder gehört.
Langsam weiß man mehr über die Komplexität der Wahrnehmung  – auch durch die Komputerthomographie – und geht bewusster damit um. Immer mehr bildende Künstler behandeln das akustische Element ganz selbstverständlich gleichbedeutend, vielleicht weil sie mit multimedialen Techniken aufgewachsen sind. Daher müssen sich heute auch die Kunstkritiker immer mehr damit auseinander setzen.

21) Zukunft der Klangkunst? Wohin geht die Klangkunst? Vermutungen über künftige Entwicklung?
Na ja, das Ganze ist ja das Label eines Diskurs.
Er ist müßig in dieser kurzen Zeit dieses Label nur auf einzelne Künstler zu verorten. Die Zeit wird zeigen welche Profile bestand haben. Historisch überleben werden am Ehesten die, die als Erste einen neuen Aspekt aufgetan haben. Namen wie Maryanne Amacher (City Links) oder Max Neuhaus z.B.
Ich hoffe, dass der Begriff innerhalb der Musikrezeption Bestand haben wird und nicht todgeredet und todgeschrieben wird – das es mehr visionäre Köpfe darunter gibt, die eigene Interpretationsmodelle und Kontextualisierungen vornehmen und eine neue Musikphilosophie entwickeln – mit Aspekten der Bioenergetik, Bioakustik oder Neuroästhetik z.B..
Man muss sich vergegenwärtigen: bis vor 600 vor Christi lebten unsere Vorfahren hier in Wäldern. Erst die Römer haben die Straße, die Zivilisation hier her gebracht und damit Geräusche von Wagenräder auf Straßenbelag und Raumakustik in Steinhäusern. Bis dahin hatte die Ohrmuschel noch eine lebenswichtige Funktion in der Natur. Es war lebenswichtig aufmerksam zu sein. Erst die schleichende Industrialisierung der letzten 2.600 Jahren hat uns schlichtweg die Naturgeräusche im Wald vergessen lassen.
Der Übergang vom 20ten zum 21the Jahrhundert ist die Zeit in der über die Zerstörung der Natur und die damit einhergehenden Verluste reflektiert wird – weil es so nicht weiter gehen kann: das Klima, die Flüsse, die fossilen Brennstoffe, das Wildleben…
Und in dem Zuge wird auch die Ohrmuschel wieder neu entdeckt und damit die Soundscape, das Geräusch, der Raum…
Die überzeugendste Klanginstallation ist für mich immer noch das Verweilen in einem intakten Wald. Nur eine Weile dasitzen und warten was sich um einem herum so tut. Da ist Richtungshören, da ist Bewegung, da ist Alleatorik – und alles in Echtzeit. Da ist Geruch, Haptik…, alles drin. Und es bedarf keiner Techik und keinem, der es erklärt.

PDF (Fricke_Kuentzel_Interview, 93 kB)