Sebastian Loskan
Die Klötzchen der TV-Störung | Nordsee Zeitung 19. Jan. 2017
Solche Störungen können einem den Fernsehabend heftig versauen. Die Satelitenschüssel hat sich im Sturm um Millimeter verschoben, das Kabel-TV liefert nicht mehr alle Signale – schon zerfällt das Fernsehbild in kleine Klötzchen, in bunte Pixel. Doch ärgern gilt nicht: Wie man mit Aussetzern kreativ umgeht, zeigt Tilman Küntzel jetzt in Galerie 149 und Werkstatt 212 in der „Alten Bürger“.
Der Berliner Künstler hat sich schon als Kind mit der Konzentration auf bestimmte Signale beschäftigt: Von seinem fünften bis elften Lebensjahr saß der Spross einer Musikerfamilie am liebsten unterm Flügel der Eltern und genoss die brumenden Bässe. Und obwohl es mit Geige-, Flöte- und Klavierspielen bei ihm nicht viel wurde, hängte er an sein Kunststudium in Hamburg noch ein paar Semester Musikwissenschaft dran.
Bei der Ausstellungseröffnung wies Annemarie Arndt von der Galerie 149 auf den Einfluss des KomponistenMauricio Kagels hin – jenes theatrallischen Musikers, der für ein Stück zum 100. Geburtstag der Schallplatte 1998 in den Basaren Teherans und Bagdads jene platzsparenden Strogeigen aufspürte, die für die frühesten Grammophonaufnahmen vor dem Trichter verwendet und mit der Einführung des Mikrofons überflüssig wurden.
Küntzel hat dessen Lust auf kuriose Reize zum Vorbild genommen, als er 1000 Starenkästen per Lautsprecher beschallen ließ: Die gelehrigen Vögel, so seine Hoffnung, sollten diese Töne in ihren Gesang aufnehmen und dann beim Vogelzug nach Afrika als Gruß aus Europa verkünden – eine sehr poetische Idee.
Dicht am Totalausfall
Kurzum: Alles, was mit Signalen für Auge und Ohr und deren Übertragung zu tun hat, reizt den Künstler Küntzel. Der Musiker Jens Karstensen machte sich bei seiner Einführung prompt einen Spaß daraus, alle Arten von Stärungen aufzuzählen, die unsere Sprache hergibt. Ein ausgiebiger Exkurs über Fehlfunktionen, vom Dampfradio bis zurm DVB-T-Signal und zur digitalen Fehlerkorrektur folgte, gewürzt mit Hilferufen verzweifelter Fernsehzuschauer aus dem Internet. Danach konnte man sich eigentlich nur wundern, dass die 1920 x 1080 Bildpunkte (bei HD-Qualität mit 50 Vollbildern pro Sekunde) doch so oft fehlerfrei in der guten Stube landen.
Nun, ein Musterbeispiel für gelungene Störungen in Bild und Ton konnte man hernach im Hinterraum der Galerie bestaunen: Eine Dokumentation über Kosmonauten in China und Russland flackerte und rauschte gefährlich dicht am Totalsusfall über die Wand. Er habe da ein bisschenmit Geruckel an der Kabelbuchse nachgeholfen, verriet der Künstler, und das Ganze dann auf eine halbe Stunde zusammengeschnitten. Gesteuerter Zufall also – und reizvoll, weil dr Betrachter die ganze Zeit beschäftigt ist, die fehlenden Zusammenhänge im eigenen Kopf herzustellen.
Besonders stolz sei er auf eine Szene mit einem Kind auf dem Trampolin, verriet Küntzel: „Weil Dinge, die sich nicht bewegen bei der ∂igitalübertragung keine neuen Signale erhalten, wirkt der Hintergrund wie eingefroren, während sich das hopsende Kind im Pixelgewiter auflöst.“
Einzelne Störbilder hat Tilman Küntzel auf Papier getuscht oder auf Leinwand gemalt, hat eine 1/25-Sekunde ins analoge MEdium übertragen. Klötzchenballungen, wohin man sieht, manchmal guckt ein Gesicht heraus. Blickfang an der Hinterwand des Hauptraums (und auch nachts durchs Schaufenster zu sehen) ist eine Art gemalter TV-Bildschirm. Im schon ziemlich schwarzen Quadratgeflimmer finden sich mehr als drei Dutzend kleine Kerben, durch die wechselndes farbiges Licht strahlt. Ein „Gemälde“ wird zur Mattscheibe.
Ein Wechsel quer über die Straßenseite, und aus der ärgerlichen Störung wird die Störung als Baumaterial. Größer, gröber, bunter. Aus eigenen Farbpixel malt Küntzel einen Baum, auus Querstreifen schafft er geradezu designhaft ein Breitwand-TV, Kreisformen sorgen für Beruhigung. Der „Ästhetisierung der Störung“ (so der Ausstellungstitel) kann man sich hier ganz ungestört hingeben.