Wir sind Reichskristallnacht

Gegenüberstellung von Einzelschicksale der Opfer von Pogrome und Mobbingopfer heute. Collegium Hungarium Berlin 2008

Realisierungswettbewerb des Collegium Hungarium Berlin:
Klangkunst zum Gedenken an die „Reichskristallnacht“ vom 11. November 1938
Berlin 2008

Ein Untersuchungsprojekt.

Begriffskorrektur
Der Begriff „Reichskristallnacht“, wie er in der Ausschreibung zu diesem Projekt verwendet wird ist ein Terminus der „böswilligen Verharmlosung“ und verherrlicht das Brennen der Synagogen vom November 1938 in Deutschlanfd und Österreich. „Das funkelt, blitzt und glitzert wie bei einem Fest“ (Avraham Barkai 1988 in W. H. Pehle, Der Judenpogrom 1938 S. 113) Es handelte sich auch nicht um eine Nacht, sondern mindestens um eine Woche, in der der staatlich indoktrinierte Mob Mitbürger jüdischer Herkunft aus Habgier beraubt und mindesten 400 Menschen zu Tode gemeuchelt hatte. In den Folgetagen wurden bis zu 30.000 Mitbürger jüdischer Herkunft in Konzentrationslager inhaftiert, wo abermals hunderte Menschen starben.

Novemberpogrom und Klangkunst
Angesichts dieses unvorstellbaren Grauens erscheint es mir als Farce mit einer Ästhetisierung durch „Klangkunst“ an diese Ereignisse erinnern zu wollen. Eine künstlerische Ästhetisierung des Massenmord erscheint mir wie eine Verharmlosung eines kollektiven Verbrechens und birgt die Gefahr, dass nicht deutlich wird ob die Vorkomnisse verherrlicht, verurteilt oder legitimiert werden sollen. Ebenso erscheint mir der Versuch von Peter Eisenman als Farce, eine Betroffenheit beim Durchschreiten des Steelen-Pakurs zu erzeugen, wie auch der Holocaust-Turm von Daniel Liebeskind als „Ort der Stille“ im Neubau des Jüdischen Museeum eine Face ist, wenn damit ein Gefühl der Betroffenheit über das Unvorstellbare erzeugt werden soll.

Projektbreschreibung
Mit meinem Projekt unter dem provokanten Titel «Wir sind Reichskristallnacht» im Sinne von «Wir sind Papst», «Wir sind Bundeskanzlerin» oder «Wir sind Weltmeister» möchte ich einen Diskurs über Strukturen menschlichen Miteinanders anregen und meine damit, dass die Ereignisse der Judenverfolgung seit altersher nicht auf die Schandtat eines faschistischen Schurkentaats zu reduzieren ist, mit dem ein aufgeklärter Mensch der Neuzeit nichts zu tun habe. Vielmehr sind solche Geschehnisse nicht möglich, ohne dass sie nicht auch von einer breiten Bevölkerung mitgetragen werden, die, wenn auch durch ein totalitäres Regime mit geschicketer Propaganda indoktriniert, nicht selten und kollektiv als «Mob» zum ausführenden Täter wird. Alle Pogrome gegen Christen und Juden verliefen unter Ausführung der Bevölkerung. Letztendliche Beweggründe des Einzelnen in derartigen Kollektivprozessen basieren zumeist auf Neid, Habgier und Intolleranz einer Minderheit gegenüber.

Global führen diese Eigenschaften nach wie vor weltweit zu Pogromen auch wenn sie nicht als Pogrom bezeichnet werden, wie beispielsweise 1998 bis 2002 in Ost-Timor, wo zehntausende Menschen grausam ums Leben kamen, im Krieg auf dem Balkan oder bei Stammesfehden in Somalia mit einer Millionen Toten, in Ruanda zwischen Hutsis und Tutsis wo sich in nur 100 Tagen zwischen April und Juni 1994 800.000 (!) Menschen gegenseitig abschlachteten. Oder aktuell in Südafrika, wo Schwarze gegen schwarze Einwanderer mit bestialischer Gewalt vorgehen. Diese Gewalltexzesse berühren uns jedoch wenig, da sie sich weit weg von unserer Haustür abspielen und wir von solchen Zahlen in den Medien überschüttet werden: 10.000 Todesopfer bei Erdbeeben in China oder 10.000 Todesopfer durch Zyklon in Birma im Mai 2008 etc.

Lokal und im Kleinen spielen sich aber auch Kleinkriege in unserer unmittelbaren Umgebung ab, die auf den gleichen Eigenschaft wie Neid, Habgier und Intolleranz beruhen und seit Ende der 70 Jahren mit dem Begriff «Mobbing» beschrieben werden. Hier fließt nicht unbedingt Blut und Mobbing führt auch nicht unmittelbar zum Tode, auch wenn zahlreiche Mobbingopfer in den Freitod getrieben wurden. Diese Form des Psychoterrors erfüllt dennoch den Tatbestand der Körperverletzung und führt zu Arbeitsunfähigkeit, weshalb auch die rechtliche Gegenwehr vorwiegend innerhalb des Arbeitsrechtes angesiedelt ist. Mobbing in der Familie jedoch bleibt weitgehend unbestraft, wenn es nicht Ausmaße annimmt wie in dem Inzest-Fall aus Amstetten. An diesem Punkt ist, wie ich meine, eine Betroffenheit zu verpühren, die Vergleichbar ist mit den ungerechtfertigten Angriffen und Denuziationen den jüdischen Mitbürgern gegenüber durch einfache Bürger und «Blockwarte» während der Naziherrschaft.

Was heißt Pogrom? (Ausschnitte Zitiert nach Wikipedia «Pogrom»)
Unter einem Pogrom versteht man eine gewaltsame, auch organisierte Massenausschreitung gegen Mitglieder einer religiösen, nationalen, ethnischen oder andersartig definierten Minderheit oder Gruppe einer Nationalität oder Bevölkerung, verbunden mit Plünderungen und Misshandlungen sowie Mord oder Genozid.
Der Begriff stammt aus dem Russischen und bedeutet übersetzt Verwüstung, Zerstörung, Krawall […] Er wird zunächst verwendet für die Judenverfolgungen im Mittelalter durch die Christen, die religiös motiviert waren: Im Laufe der Jahrhunderte nach Jesu Kreuzigung durch die Konzile der Kirche verschärfte sich die Ansicht, dass „die Juden“ insgesamt am Tode Jesu schuld gewesen wären und insofern „Gottesmörder“ seien, den Texten der Bullen (?) und Konzile nach. Auch für die Pest-Epidemie im 14. Jahrhundert wurden Juden in ganz Europa als die Sündenböcke dargestellt. Als Begründung für diese Massenverfolgungen dienten den Christen außerdem widersprüchlicherweise die Besonderheiten der jüdischen Religionsgemeinschaft sowie deren (meist erzwungene) Absonderung in den städtischen Ghettos.

Was ist Mobbing? (Ausschnitte Zitiert nach Wikipedia «Mobbing»)
Mobbing oder Mobben (von englisch mob „Meute, Gesindel, Pöbel, Bande“ und to mob „anpöbeln, angreifen, über jemanden herfallen“) steht im engeren Sinn für „Psychoterror am Arbeitsplatz mit dem Ziel, den Betroffenen aus dem Betrieb hinauszuekeln.“ Im weiteren Sinn bedeutet Mobbing, einen Kollegen ständig zu schikanieren, quälen und verletzen, beispielsweise in der Schule, am Arbeitsplatz, im Sportverein, im Altersheim oder im Gefängnis. Typische Mobbinghandlungen sind Verbreitung falscher Gerüchte, Zuweisung sinnloser Arbeitsaufgaben, Gewaltandrohung, soziale Isolation oder ständige Kritik an der Arbeit. Wissenschaftliche Untersuchungen gibt es zu Mobbing am Arbeitsplatz und Mobbing in der Schule. […] Typische Mobbinghandlung betreffen etwa organisationale Maßnahmen (zum Beispiel Kompetenzentzug oder Zuteilung sinnloser Arbeitsaufgaben), soziale Isolierung (zum Beispiel Meiden und Ausgrenzen der Person), Angriffe auf die Person und Ihre Privatsphäre (etwa Lächerlichmachen der Person), verbale Gewalt (zum Beispiel mündliche Drohung oder Demütigung), Androhung oder Ausübung körperlicher Gewalt und Gerüchte.[…] Manche Mobbingforscher bescheinigen, dass Mobbingopfer im Durchschnitt ängstlicher, unterwürfiger und konfliktscheuer sind. […] Als weitere Ursache für Mobbing gilt die Persönlichkeit des Mobbers. Einige gehen davon aus, dass Menschen zu Mobbern werden, um ihr schwaches Selbstvertrauen zu kompensieren. Mobber benutzen demnach die Opfer als Prügelknaben und als Projektionsfläche für ihre eigenen negativen Emotionen. […] Am weitesten verbreitet ist unter Forschern die Annahme, dass strukturelle Faktoren Mobbing auslösen. So ist Mobbing eine Waffe (soziale Sanktion) im innerbetrieblichen Wettstreit um knappe Ressourcen (Aufstiegspositionen, Arbeitsplatzsicherheit). Bei wachsender volkswirtschaftlicher Konjunktur nimmt das innerbetriebliche Mobbing daher ab, in der Rezession – wenn vor allem die Arbeitslosigkeit bedrohlicher wird – zu. Äußerst schlechte Arbeitsorganisation und Produktionsmethoden wie etwa unklare Zuständigkeiten, Monotonie, Stress, allgemeine Mängel in der Kommunikations- und Informationsstruktur, ungerechte Arbeitsverteilung, Über- und Unterforderung, widersprüchliche Anweisungen, mangelnder Handlungsspielraum oder Kooperationszwänge gelten als Ursachen für Mobbing. […] Regelmäßige feindselige Angriffe rufen negative Gefühle und starke Verunsicherungen bei den Betroffenen hervor, was zumeist nicht ohne Folgen auf ihr Arbeits- und Leistungsverhalten bleibt. 98,7 % der deutschen Mobbingopfer geben an, dass sich Mobbing darauf auswirkt. Am häufigsten nennen Opfer laut Mobbing-Report Demotivation (71,9 %), starkes Misstrauen (67,9 %), Nervosität (60,9 %), sozialen Rückzug (58,9 %), Ohnmachtsgefühle (57,7 %), innere Kündigung (57,3 %), Leistungs- und Denkblockaden (57,0 %), Selbstzweifel an den eigenen Fähigkeiten (54,3 %), Angstzustände (53,2 %) und Konzentrationsschwächen (51,5 %) Beruflich kann Mobbing zu Kündigung, Versetzung und Erwerbsunfähigkeit des Opfers führen.

Kontent der Installation
Für eine Gegenüberstellung von Einzelschicksalen der Opfer von Pogromen und Mobbingopfern möchte ich Betroffene aus beiden Bereichen recherchieren und, insb. im Bereich Mobbing versuchen diese mit der Kamera zu intervien, sodaß in der Videoprojektion neben den Standbildern bewegte Bilder mit Untertitel eingearbeitet werden können. Die Bildergalerie zeigt dann die Personen aus den bewegten Bildern als Portraits, denen jeweils eine Texttafel mit Beschreibungen ihres Schicksals beigefügt ist.

Beschreibung der Installation in, am und vor dem Gebäude des Collegium Hungarium

Im Gebäude – Bildergalerie / Klänge der Außeninstallation
Ästhetik einer Gedenk- und Dokumentationsstädte
In den Fluren der zu bespielenden Stockwerke soll eine Bildergalerie entstehen, die die Portaits der betroffenen Menschen zeigt. Jedem Bild soll eine Texttafel beigefügt werden die den jeweilige Vorfall schildert. Die Portraits sollen, wenn realisierbar, in gleichformatigen Bilderrahmen presentiert werden. In abwechselnder Reihenvolge sollen Schicksale aus historischen Pogromen (die sich zumeist gegen Juden richteten) soweit aus Mobbing-Vorfällen gesellschaftlicher Institutionen und Nachbarschaftsdissensen etc. dokumentiert werden. Durch ein oder zwei Lautsprecher könnte auch hier die Klänge der Außeninstallation leise zu vernehmen sein. In Zettelkästen sollen die dokumentierten Bild- und Textdokumente auf Din A4 Kopien zum Mitnehmen zur Verfügung gestellt werden.

Vor dem Gebäude – Klanginstallation
Die Klanginstallation besteht aus der Rezitation eines jüdischen Klageliedes, das von einer Frauenstimme solo (Mütterchen, keine ausgebildete Sängerin) leise und auf hebräisch gesungen wird, die sich offenbar auf freiem Feld befindet, z.B. an einem Grab oder angesichts eines Verstorbenen. Der Gesang soll, wie vom Wind getragen durch die Lautsprecher wandern, die vor dem Gebäude unter den Gitterrosten angebracht sind. Zusätzliche Lautsprecher am Gebäude, sowie an den links und rechts befindlichen Gebäuden und in dem gegenüberliegendem Baum wären wünschenswert, sodaß sich die Bewegung der Klänge über den Platz vor dem Gebäude ausbreiten kann (engelsgleich).

Am Gebäude – Videoprojektion
Die Innenprojektion an das große Fenster soll ebenfalls, wie eine Diashow in abwechselnder Reihenfolge die portaitierten Menschen als Foto oder wenn möglich als bewegtes Bild zeigen. In Untertiteln sollen die dazugehörigen Schicksale in Stichworten wiedergegeben werden. Die Portais sollen nicht betitelt werden wie: Mobbing- und Pogromopfer. Vielmehr sollen lediglich die Vorkomnisse skiziert werden, wodurch die Parallele beider Tatenprofile selbstredent deutlich wird. Sehrwohl sollen aber die Namen der Portraitierten angeführt werden, um diese so aus der Annomymität heraus zu holen und die Verbindlichkeit der Aussagen zu unterstreichen. Sollte es gelingen Mobbingopfer zu finden, die bereit wären ihre Erlebnisse vor der Kamera zu schildern, könnte das Video auch entsprechende bewegte Bilder beinhalten. Das Video würde von mir sebst gestaltet werden unter Berücksichtigung der Triptichon-Unterteilung des Fensters.

Praktische Umsetzung
Sollte ich den Zuschlag zur Realisierung dieses Projekts bekommen, würde ich in jüdischen Archiven nach Bildmaterial, sowie nach Beschreibungen einzelner Vorkomnisse insb. während der Novembergogrome recherchieren. Zuhilf käme mir da die Kontakte meines Bruders, dem Historiker und Buchautor Dr. Matthias Küntzel, dessen Arbeitsschwerpunkt bei der Judenverfolgung im dritten Reich, insb. aktuel zum Islamfaschismus liegt. Er verfügt zu besten Kontakten zu jüdischen Einrichtungen und Historikern weltweit.
Ebenso würde ich in den zahlreichen Foren zum Thema Mobbing recherchieren, in Kontakt mit Betroffenen treten und Erlebnisberichte sammeln, sowie Intervies mit Betroffenen führen. Kontakt zu entsprechenden Stellen lässt sich über Internetseiten und –Foren, sowie über Anwälte herstellen, die entprechendes Klientell betreut.
Diese Recherche liegt mir sehr am Herzen, da ich selber beireits als Kind im familieren Umfeld zum Mobbingopfer wurde und mich dadurch bis heute immer wieder mit diesen Strukturen im Miteinander, insb. bei der Ausführung meiner Kunst, konfrontiert sehe.
Dieses Projekt bedeutet mir daher mehr als nur eine weiter Realisierung eines künstlerischen Projekts und birgt für mich therapoltische Qualitäten.

5) Links zum Thema Mobbing
www.mobbing-zentrale.de
www.mobbing-hilfe.de
www.klimaev.de Konflikt-Lösungs-Initiative, Mobbing-Anlaufstelle, Klima e.V.
www.mobbing-werkstatt.de  Gabys Mobbing-Werkstatt mit Informationen über Mobbing
www.beratung-therapie.de – Psychologische Beratung Dipl.-Psych. Volker Drewes
www.erfolgsschmieden.de – Netzwerk für Coaching, Training, Kooperation
www.david-uwd.de – Mobbingfälle in der evangelischen Kirche
www.mobbing-info.ch – Mobbing-Info in der Schweiz
www.mobbing-zentrale.ch – Mobbing-Zentrale in der Schweiz
www.medizin-netz.de – Mobbing-Informationen beim Medizin-Netz
www.konflikt-hilfe.de – Kommentare zum Thema Mobbing
www.ipsm-giessen.de – Initiative gegen psychosozialen Streß und Mobbing
www.fairness-stiftung.de – Die Fairness-Stiftung
www.workrelations.eu – Internationale Mobbing-Informationen
u.v.m.
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6) Anlaufstellen zur Recherche zum Theam Judenverfolgung
Alte Synagoge Essen
Anne-Frank-Shoah-Bibliothek, Deutsche Bibliothek Leipzig
Centrum Judaicum, Stiftung Neue Synagoge
Dr.-Erich-Bloch-und-Lebenheim-Bibliothek, Konstanz
Gedenkstätte Buchenwald
Gedenkstätte Nordrhein-Westfalen
Germania Judaica – Kölner Bibliothek zur Geschichte der deutschen Juden
Haus der Wannseekonferenz, Berlin
Jüdisches Museum Frankfurt
Jüdisches Museum Franken, Fürth und Schnaittach
Jüdisches Museum Göppingen
Jüdisches Museum München
Jüdisches Museum Westfalen
Moses Mendelssohn Akademie (Halberstadt)
Sondersammelgebiet Judentum Stadt- und Universitätsbibliothek Frankfurt am Main
Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas
Stiftung Topographie des Terrors
Zentralarchiv zur Erforschung der Geschichte der Juden in Deutschland, Heidelberg
Zentral- und Landesbibliothek Berlin
u.v.m.