Gerrit Gohlke

zu der audiovisuellen Installation "Lüster"

Katalogbeitrag Rohkunstbau X im Wasserschloss Groß Leuthen 2003

Dieser Leuchter ist nicht seriös. Zu blechern legt sich der Bandreif um den schweren gläsernen Behang, über dem ein scharfgratiger Baldachin wie eine wilhelminische Dornenkrone prangt. Die Glastropfen hat man ohne Scheu an prosaischen Eisendrähten aufgefädelt, deren Drahtschlaufen nun wie Fossilien in die Kristalle eingeschlossen sind. Prätentiös bauscht sich der billige Prunk zwischen aufgeschraubten Metallgirlanden nach unten, eine große Geste, die im Inneren von zwei Eisenbändern wie mit Prothesen in Form gehalten wird. Ein solcher Korblüster kann nicht von der Schloßdecke gefallen sein, mit der er unkaschiert durch ein Elektrokabel verbunden ist. Er muß als Täuschung auf dem Parkett drapiert worden sein, damit das Publikum etwas Illustres sieht.

Tatsächlich bekommt es etwas geboten, was man als Allegorie auf die Gegenwartskunst lesen kann: Ein Appell an den Schönheitssinn mit einem Mindestmaß an Ortsbezug; ein Minutendrama als Kuratorenglück, das den Schloßraum zu Groß Leuthen in ein kleines Spektakel verwandelt. Timan Küntzel hat einige solche Installationen gebaut, in denen der Second Hand Glamour ironisch um Aufmerksamkeit heischt, während sich ein unsichtbarer, aber umso präziser hörbarer Dialog hinter den visuellen Effekten verbirgt. Ob es sich um 31 blinkende Weihnachtssterne in einem niedersächsischen Ministerium handelt oder um ein Arrangement aus Neonröhren in der Bremer Städtischen Galerie: Küntzels Installationen reduzieren die Kunst zunächst auf eine sinnfrei blinkende Maschinerie, die von der dekorativen Massenware aus den Restpostenbasaren und Heimwerkergeschäften nicht mehr zu unterscheiden ist und aus der erst im zweiten Schritt eine hintergründige Bricolage-Ironie Störsignale ableiten kann. Das Sichtbare wird hier mit Tonabnehmern observiert, in Schaltkreise eingespeist und mit Bimetallkontakten gesteuert. Kunst wird zur seismographischen Praxis, die den aufgebauten Apparat belauscht und so hinter die Schauseite dringt.

Der Leuchter ist deshalb nicht mehr als eine genußvolle Geste, ein Spiel mit dem Sehsinn und der Erwartungsfreude des vorüberflanierenden Publikums, er ist die eilige Metaphernmaschinerie, in der Kronleuchter und Schloß eine assoziative Paarung ergeben. Erst hinter dem Glasbehang verbergen sich die elektronischen Innereien. Vom preußischen Baldachin werden die Kabel nicht direkt zu den Glühbirnen geführt. Sie verzweigen sich zunächst zu einem Netz von Neonröhrenstartern, die nach einer technischen Manipulation die Glühlampen mit Strom versorgen. Die Starter werden von wärmeempfindlichen Kontakten in nervöse Aktivität versetzt. Die Glühbirnen leuchten auf und erlöschen. Der Raum ist von einem systematischen, regelmäßigen Flackern erfüllt, das vollkommen sinnlos bleibt, aber von den Wänden her ein akustisches Echo erhält. Ein leiser und beiläufig hoher Ton, der halb einem angestoßenen Glas, halb einer gezupften Gitarrenseite gleicht, wird in den Startern erzeugt und mit den übersteuerten Tonabnehmern zu einer Serie trichterförmiger Lautsprecher übertragen. In dem überempfindlichen Sound mischt sich die Resonanz der Schritte im Raum mit dem Widerhall einer selbstgenügsamen Apparatur. Die Bewegungen des Publikums verschmelzen mit der maschinellen Aktivität des Dekors, werden zum Bestandteil der Kunst und zum Hinweis auf die Unbeständigkeit und Prozeßhaftigkeit der ästhetischen Aufmerksamkeit.

Bei aller Theatralik der Kulisse, den vernagelten Fenstern mit ihren kalkuliert inszenierten Lichtdurchlässen oder dem aufgebahrten Leuchter im feudalen Raum, siegt so der Klang über das Licht, und mit ihm ein ephemerer, hinter den Kulissen erzeugter Prozeß über den Augenschein. Das Sichtbare ist bei Küntzel immer vom Absurden bedroht. Lautsprecher auf Biergartenlampen, perforierte Schlosserbleche auf nackten Wänden oder ein prahlerisches Seventies-Werbeschild mit der Aufschrift „Lights & Sounds by Tilman Küntzel“ zitieren Komödie und Farce. Es sind Zeichen für die Absurdität und Komik ästhetischer Formalität, an der nicht die schnell erfaßbaren Oberflächen, sondern die Schnitt- und Schaltstellen die Aufmerksamkeit der Betrachter verdienen. Die Kunst unterläuft hier ihre eigenen Gesten. Sie fordert eine Wahrnehmungshaltung wie gegenüber der Natur. Nicht nur in Küntzels akustischen Landschaftsinterventionen, sondern auch auf dem Schloßparkett sieht man so dem Ästhetischen eine Zeit lang bei der Arbeit zu. Ein bißchen ist das wie Singvögel zu belauschen. Man läßt sich aufhalten und bleibt Passant. Die Kunst ist dabei dem Kitsch, den sie sich zunutze macht, nicht überlegen. Sie erreicht aber etwas, was den Massenprodukten und Dekoren unmöglich ist: Sie setzt lokale Aufmerksamkeit frei und erzeugt so eine transitorische Autonomie. Gut zu wissen, daß das Ästhetische nicht blinkt oder in durchschlagenden Metaphern aufblitzt – sondern ein Störgeräusch ist.

© Gerrit Gohlke, Juni 2003

 

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