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The Shouting Christmas Stars

A Staircase for the Arts Ministery for Science and Culture, Hannover 2000 Curated by Ulrich Eller, The Alma Löv Museum for experimental & unexp. Art Sunne (S), May – September 1998, Galeria Wschodnia Lodz (Pl) 1997, Weltbekannt e.V. Hamburg 1996 – 97, Galeria Rostrum Malmö (S) 1997, Galeria Arsenal Bialystock (Pl) 1995.

(…) Betritt man den dritten Stock in der Ausstellung „Ein Treppenhaus für die Kunst“, dann nimmt man zunächst eine eher unauffällige Wandgestaltung wahr. An den beiden der Fensterfront und den Aufzügen gegenüber gelegenen Wänden befindet sich ein Deckenfries. Hinter strukturiertem Glas sind einmal 15 und einmal 16 identische Objekte horizontal bandartig angeordnet. Das vor die Objekte gehängte durchgehende Glas betont die horizontale Struktur zusätzlich. Zugleich bringt die innere Strukturierung des Glases die Konturen und Farben dieser Objekte zum Verschwimmen, ihre genaue Gestalt ist nur zu erahnen, sie wirken wie große Blumen in intensiven Farben, es herrscht eine geradezu malerische Qualität vor, man könnte sich an manche Blumensiebdrucke von Andy Warhol erinnert fühlen.
Die beiden weißen, glatt verputzten Wände unter diesem Deckenfries werden durch reliefartig hervortretende Halbkugeln sparsam gegliedert. Küntzel hat dazu insgesamt 93 (einmal 45 und einmal 48) Tischtennisballhälften in einer Höhe von ca. 40 cm über dem Boden bis knapp über Kopf unregelmäßig an den Wänden verteilt. Auf den ersten Blick erhält man den Eindruck, hier handele es sich um eine typische, zum Gebäude gehörige 50er-Jahre-Wandgestaltung: Das abstrakt-ornamentale Deckenfries trägt zu diesem Eindruck ebenso bei wie das Wandrelief, das an die abgerundeten Formen und die ein wenig verspielte Nüchternheit dieser Zeit erinnert. (…)
Sabine Sanio

Sabine Sanio

Kunst und Kultur zwischen Kalter Krieg und Finanzkrise
In Tilman Küntzels Videoinstallation Zu den Sternen – terrestrische Invasion geht es um eine spezifische Haltung zum Weltgeschehen, wie sie in der progressiven Popmusik der 60er und 70er Jahre zum Ausdruck kam. In seiner Hommage an die Musik der Kölner Band Can zeigt Küntzel uns eine moderne, gewissermaßen digitalisierte Form psychedelischer Verfremdung von Bild und Ton, die nur indirekt an den Kölner Krautrock erinnert. Denn während es den Musikern damals um die subjektive Intensität musikalischen Erlebens ging, zielt Küntzel in seiner aktuellen Hommage auf eine Reflexion der damaligen politischen Verhältnisse.

Mit der Band Can assoziiert man eine Musik, die auf Bewußtseinserweiterung angelegt war. Heute, im Rückblick sieht Küntzel in dieser Form von Musik vor allem eine Reaktion auf die erstarrten politischen Verhältnisse des Kalten Krieges: Damals ermöglichte diese psychedelische Musik vielen jungen Leuten ein intensives Erleben ihrer Gefühle, Empfindungen und Phantasien. Sie tauchten mit dieser Musik in fiktive, irreale Wirklichkeiten ein, die man sonst nur im Drogenrausch erleben konnte. Den damaligen Hype um die Bewußtseinserweiterung begreift Küntzel als Ausdruck eines Fluchtimpulses, der auf die herrschende atomare Bedrohung reagierte.

Statt sich auf den Vietnamkriegs oder die Studentenrevolte zu beziehen, die im Westen wichtige Impulse für Wirklichkeitsflucht und Drogenerfahrung bildeten, greift Küntzels Installation mit der Raumfahrt ein Thema auf, das für den Kalten Krieg fast noch größeren Symbolwert besaß: Nachdem den Sowjets mit den ersten Sputniks die Erdumrundung und der Einstieg in die bemannte Raumfahrt geglückt war, entstand zwischen den beiden Großmächten ein Wettstreit um die Vormacht im Weltraum, der auch nach der ersten amerikanischen Mondlandung im Jahr 1969 noch längst nicht entschieden war. Küntzels Bildmaterial stammt aus dem Dokumentarfilm „Fliegerkosmonauten“ von Marian Kiss. In einer Reihe von Interviews befragte Kiss ehemalige Kosmonauten, die alle am Interkosmos-Programm teilgenommen hatten. Im Zuge dieser 1976 gestarteten Propagandaaktion hatte man Kosmonauten aus zehn sozialistischen Bruderstaaten an der sowjetischen Raumfahrt beteiligt. Die Interviews mit den gealterten Raumfahrern, die in ihrem heutigen Alltag sowie an früheren Arbeitsstätten gezeigt werden, sind kombiniert mit historischen, dokumentarischen Bildern.

Für die Verzerrung, Verpixelung und Verfremdung der Bilder hat Küntzel die digitale Übertragung im terrestrischen TV-Empfang manipuliert und modifiziert – „terrestrische Invasion“, der Untertitel der Installation, spielt darauf an. Das Ausgangsmaterial wurde konsequent verknappt, insbesondere sind alle eher narrative Passagen herausgeschnitten, um die Rhythmik der Bildfolgen zu verdichten. Erhalten geblieben ist der Atem des Films, der sich einer speziellen Technik des Innehaltens in kurzen Standbildern verdankt. Den Originalton hat Küntzel durch elektronische Musik ersetzt, diese ist ebenfalls durch Manipulation von Abspielgeräten entstanden, ihr Rhythmus folgt dem der Bilder, so daß Bild und Ton der Installation eine Einheit bilden. All diese Eingriffe verleihen Küntzels Video einen Charakter extremer Verfremdung, doch vor allem besticht es durch Stilisierung und durch eine ausgeprägte Künstlichkeit – das gezeigte Geschehen rückt dadurch in fast traumartige Distanz.

Küntzels Hommage an Can provoziert die Frage nach den Unterschieden zwischen der Welt damals und der heute. Offensichtlich hat sich der Charakter der Bedrohungen, denen wir uns ausgesetzt sehen, grundlegend gewandelt, damals war die vom Kapitalismus wie vom Kommunismus propagierte Idee einer befreiten Menschheit in eine alptraumartige Bedrohung durch die atomare Aufrüstung umgeschlagen, heute hingegen sehen wir uns einer Dynamik ausgesetzt, bei der die Sehnsucht nach ungehemmter Befriedigung der Wünsche des Einzelnen in eine Finanz- und Bankenkrise umgeschlagen ist, die immer weitere Kreise zieht. Inzwischen sind nicht nur ganze Staaten bedroht, es gibt auch immer mehr Stimmen, die das kapitalistische System insgesamt in Frage stellen.

Das führt schließlich zu der grundsätzlichen Frage, wie wir heute auf solche fundamentalen Bedrohungen reagieren sollen. Tilman Küntzel läßt es offen, ob seine Videoinstallation als Kommentar zu dieser Frage angesehen werden kann. Doch Zu den Sternen – terrestrische Invasion ist nicht nur eine Digitalversion von den psychodelischen Effekten der Kölner Musiker, es stellt zugleich eine Beziehung zur damaligen politischen Realität her und rückt auf diese Weise das Ästhetische selbst in eine politische Perspektive. Schon deshalb ist die Videoinstallation Zu den Sternen – terrestrische Invasion mehr als nur ein Kommentar zur Musik von Can, Küntzel formuliert darin die Überzeugung, daß man Kunst stets und immer aufs Neue als gesellschaftliches und politisches Phänomen begreifen muß.

Halleluhwah – hommage à Can kuratiert von Christoph Tannert
Galerie AbtArt Stuttgart und Künstlerhaus Bethanien 2011

Sabine Sanio

Sabine Sanio
Ästhetische Erfahrung als Wahrnehmungsübung?
aus Kapitel VII „Audiovisuelle Konzepte“
in: Musik-Konzepte
Sonderband Klangkunst
München 2008

(…) Wie Julius und Kubisch ist auch Tilman Küntzel eine Doppelbegabung als Musiker und Bildender Künstler. Er forciert in seinen Installationen das Verhältnis von Bild und Klang, indem er beide Dimensionen ungewöhnlich eng aufeinander bezieht. Die Irritation, ja, Überforderung unserer Sinne, die er damit provoziert, bewirkt eine Sensibilisierung für Möglichkeiten und Grenzen der Interaktion und Wechselwirkung zwischen Sehen und Hören. Fluxusstrategien aufgreifend integriert Küntzel alltäglichste Elemente in den Kunstlontext und führt die rein formale Herangehensweise mit seinen bewusst einfachen Materialien gerdezu ad absurdum. Küntzel operiert häufig mit der strikten Gleichschaltung von Klang und Licht. Dafür werden visuelle und akustische Signale direkt miteinander verkoppelt – trotz der Parallelschaltung erlebt der Rezipient akustische und visuelle Prozesse völlig unabhängig voneinander. In der Installation „Ein Treppenhaus für die Kunst““ hat er zwei über Eck liegende Wände mit einer Art Deckenfries versehen. Hinter strukturiertem Glas bilden einmal 15 und einmal 16 identische Objekte ein horizontales Band. Darunter sind in einer Höhe von bis zu knapp zwei Metern fast 100 kleine reliefartig hervortretende Halbkugeln unregelmäßig über die beiden Wände verteilt.

Beim Nähertreten erkennt man hinter dem Glas Weihnachtssterne, wie sie in der Vorweihnachtszeit in vielen Fenstern leuchten. Über wärmeempfindliche Bimetalle, die wie eine Art „at random“-Steuerung funktionieren, wird das Aufleuchten und Verlöschen der Glühbirnen gesteuert. Neben den Glühbirnen hat Küntzel an die Bimetalle Piezos angeschlossen, die in den Halbkugeln an der Wand installiert sind: Parallel zu den aufleuchtenden und verlöschenden Lichtern ertönt ein ebenso unvorhersehbarer Rhythmus einsetzender und verstummender Piezoklänge. Auf Knopfdruck leuchten alle Sterne auf, doch bald erlöschen die ersten Glühbirnen für einen Moment. Nach kurzer Zeit zerfällt die wuchtige „Totale“ von Licht und Klang in ein unregelmäßiges Muster von bunten Lichtern und Geräuschen. Die Rummelplatzatmosphäre der flackernden Lichter, schnarrenden, surrenden und fiependen Piezos steht in deutlichem Kontrast zur kontemplativen Kunstrezeption – ein verspielt-ironischer Kommentar zur bis heute letztlich doch elitären Situation der Kunst und auch der Klangkunst in Galerien und Museen.

Sabine Sanio

Zu drei Klangräumen von Tilman Küntzel

Was sich heute im Grenzbereich von Bildender Kunst und Musik präsentiert, wird meist als Klangkunst bezeichnet, ein Begriff, der die Verbindung des Musikalischen mit dem Bildnerischen, des Auditiven mit dem Visuellen knapp zusammenfaßt. Zu den Charakteristika dieses in sich äußerst vielfältigen Bereichs gehört auch die Einbeziehung des Raums. Der Besucher kann in Klanginstallationen herumspazieren, Klangskulpturen umwandern, oder er kann Klangkunstarbeiten im öffentlichen Raum als zufälliger Passant erleben.

Während der Begriff der Klangkunst und das Bewußtsein für die Differenz gegenüber der Konzertmusik heute allgemeiner Konsens ist, konnte sich bislang keiner der verschiedenen Vorschläge zur Binnendifferenzierung dieses kaum zu überblickenden neuen ästhetischen Terrains durchsetzen. Das liegt, so steht zu vermuten, nicht an der fehlenden Begriffsschärfe, sondern eher daran, daß Unterschiede wie die zwischen Raum und Objekt immer nur relativ sind, weil jedes Objekt einen Raum voraussetzt und sich umgekehrt auch Räume nur selten ohne Objekte erlebt werden können, zumal die Begrenzungen des Raums selbst wieder als Objekt aufgefaßt werden können.

Dagegen hat sich inzwischen gezeigt, daß die Verwendung der neuen technischen Medien zur Klangproduktion, -bearbeitung, -speicherung und -reproduktion, die eine entscheidende Rolle bei der Entwicklung der Klangkunst als Bereich jenseits der Konzertmusik gespielt hat, für die Klangkunst viel weniger zentral ist, als man während ihrer Frühphase vermutet hätte. Viele Klangkünstler sind beständig auf der Suche nach ungewöhnlichen Klangerzeugern, sie setzen damit eine andere Tradition der Klangkunst fort, die sich immer auch als Kunst jenseits der musealen Präsentationsformen der Künste verstand und zur Erforschung der akustischen und musikalischen Dimension unseres Alltags beitragen will.

DREI RÄUME – DREI FARBEN

Zu diesen „Klangforschern“ gehört auch Tilman Küntzel. Seit 1992 bildet die Auseinandersetzung mit der Frage, wie sich einfache Objekte ebenso wie ganze Räume audiovisuell gestalten lassen, einen Schwerpunkt seiner Arbeit. Küntzel thematisiert zudem beständig die Frage nach der Art und Weise, wie wir Räume erleben. Visuelle wie akustische Phänomene bilden bei ihm gleichwertige Momente dieser Erfahrung. Die Installation DREI RÄUME – DREI FARBEN, die er im Sommer 2001 im Kulturforum Lüneburg auf Gut Wienebüttel eingerichtet hatte, war für seine Arbeitsweise eher untypisch, weil er hier die Ausstellungsräume als ganze gestaltet hatte, ohne audiovisuelle Objekte zu verwenden. Doch nicht allein vor dem Hintergrund seiner Arbeiten mit solchen Objekten fasziniert die Installation DREI RÄUME – DREI FARBEN dadurch, daß sie die ganze Tiefe der drei auf irritierende Weise audiovisuell „gefärbten“ Räume gewissermaßen unverstellt zeigt.

Die visuelle Dimension der Installation beschränkte sich auf die Ausstattung der Räume selbst. Diese war ebenso sparsam wie eindrucksvoll, die Räume waren völlig leer, allein die Böden hatte man mit unterschiedlichen Materialien bedeckt. Die verwendeten Materialien – blauer Teppichboden, grauschwarze Metallplatten und hellgraue Kieselsteinen – wirkten wie in den Raum hinein erweiterte monochrome Gemälde. Neben den ausgeprägten visuellen Effekten entstanden auch subtile räumliche und akustische: Die Materialien modifizierten die Schallreflexion sowie die Raumakustik und damit das gesamte Raumempfinden. Von den unterschiedlichen Bodenbelägen abgesehen, waren die Räume mit ihren kahlen weißen Wänden völlig neutral gehalten. Durch diese nüchterne Gestaltung wurden die unterschiedlichen Böden noch zusätzlich betont, die Räume wirkten ein wenig wie Experimentallabors. Auffällige Elemente waren quadratische Metallraster auf Augenhöhe in der Mitte der weißen Wände. Hinter ihnen verbargen sich die Lautsprecher. Dagegen waren die CD-Spieler, mit denen die drei Räume beschallt wurden, in einem anderen Raum der Galerie untergebracht. Die Klänge, die in die drei Räume „gespielt“ wurden, waren Samples. Küntzel hatte für die Installation eigens eine CD produziert mit über hundert verschiedenen, speziell für diese Räume ausgewählten Sounds oder kurzen Klangfolgen. Das Spektrum dieser Klänge war sehr breit, natürliche Geräusch waren ebenso darunter wie elektronische und Instrumentalklänge. Küntzel hat sie alle am Computer bearbeitet und teilweise auch verfremdet. Die auf CD gesampelten Klänge wurden im Random-Mode in die drei Räume übertragen. Durch den zufallsgesteuerten Abspielprozeß der CD-Spieler ergaben sich immer wieder kürzere oder auch einmal etwas längere Pausen, die den einzelnen Klängen genügend Raum ließen, um ihre Wirkung zu entfalten.

Da alle Räume über einen zentralen Galerieraum zugänglich waren, konnte man leicht von einem zum anderen Raum wechseln und die verschiedenen Räumen mit ihrer spezifischen Atmosphäre und Akustik erleben. Doch trotz der parallelen Anlage handelte es sich bei der Installation DREI RÄUME – DREI FARBEN nicht darum, die unterschiedliche Wirkung der Klänge in den verschiedenen Räumen miteinander zu vergleichen. Dafür war schon die Zahl der unterschiedlichen Klänge viel zu groß. Die Lüneburger Arbeit präsentierte vielmehr drei unterschiedliche und sehr prägnante räumliche Situationen, die mit den räumlichen Qualitäten verschiedener Materialien, Farben und Klänge spielten. Klang- und Raumgestaltung fügten sich zu einem audiovisuellen Ensemble; dessen spezifische Qualität vermittelte sich ganz allmählich, wenn man in einem Raum länger verweilte. Dann begannen Augen und Ohren nicht allein, die einzelnen Wahrnehmungsphänomene zu erfassen, sie sensibilisierten sich auch für deren spezifisches, eben audiovisuelles Zusammenspiel.

LIGHTS & SOUNDS

Seit vielen arbeitet Tilman Küntzel Jahren mit Objekten, die er in unterschiedlichster Weise zum Klingen bringt. Aus der Vielzahl seiner Klangobjekte seien exemplarisch erwähnt: DIE INTERAKTIVE TASCHENLAMPE, DER KLINGENDE GARTENZWERG und die KLINGENDEN KULTURBEUTEL, EARTH SOUND (mit einem Wasserballglobus auf einem Lautsprecher), DER KLEINE ROSENGARTEN (mit Seidenrosen, Bimetall-Glühbirnen und unterschiedlichen Resonanzkörpern). Küntzel verwendet meist einfache Industrieware, um sie mit viel Witz in Klangobjekte zu transformieren. Mit diesen Arbeiten führt er die Tradition der Fluxus-Künstler fort, die in spielerischer Form und oft mit doppeldeutigen Titeln die ästhetischen Implikationen unseres Alltags gezeigt haben.

1998/99 entstand für die Ausstellung „Polyrhythmic Soundscape“ in New Delhi ein Klangobjekt mit dem Titel LIGHTS & SOUNDS. Es bringt eines der wichtigsten Konzepte von Küntzels künstlerischer Arbeit auf einen Begriff. Die Arbeit besteht aus mehreren Komponenten. Das zentrale Steuerungselement ist ein Leuchtkasten, wie man ihn häufig in den Fenstern von Kneipen mit der Schrift „Bar“ oder „Beer“ findet und den der Künstler ein wenig selbstironisch mit den Worten „Lights and Sounds by Tilman Küntzel“ versehen hat. Mit dem Mechanismus, der in dem Kasten das Aufflammen der Lichter regelt, sind Relais verbunden, die ein komplettes Schlagzeugensemble steuern.

Küntzel hat verschiedene pfiffige Ideen entwickelt, um akustische und visuelle Prozesse möglichst eng miteinander zu verbinden. Thema fast aller seiner Arbeiten ist die Gestaltung zeitlicher Prozesse, man hat es eigentlich nie mit einfachen Objekten zu tun, vielmehr sind sie fast immer mit einem Impulsgeber ausgestattet, oft einfachen Technikkomponenten wie denen, mit denen Kitschobjekte in unregelmäßigen Abständen für kurze Zeit zum Aufleuchten gebracht werden. Mit seinen Arbeiten bewegt sich Küntzel in einem Bereich zwischen Bildender Kunst und Musik, dessen Grenze auf der einen Seite Neonschriftobjekte von Konzeptkünstlern wie Bruce Nauman, Joseph Kosuth, Mario Merz oder Mauricio Nanucci und auf der anderen Seite Klangobjekte von Paul Panhuysen, Ed Osborn, Felix Hess oder Andreas Oldörp markieren. Selbst wenn man bedenkt, daß Tilman Küntzel zu den unter Klangkünstlern nicht gerade seltenen Doppelbegabungen zu zählen ist, überrascht die Konsequenz, mit der er hier Licht und Klang als völlig gleichwertige Aspekte behandelt.

Bei diesen Prozessen interessiert sich Küntzel nicht allein für die in ihrer endlosen Monotonie schon wieder statisch wirkende Repetition. Ihn faszinieren auch die dabei entstehenden rhythmischen Strukturen. Indem er mehrere Impulsgeber miteinander kombiniert, erzeugt er polyrhythmische Konstellationen. Parallel zu den Leuchtintervallen regeln die Impulsgeber auch noch eine weitere Dimension, die aus akustischen Signalen gebildet wird. Die visuellen und akustischen Impulse sind gewissermaßen parallel geschaltet, sie haben zwar denselben Rhythmus, doch Auge und Ohr erleben ihn ganz unterschiedlich. Je mehr solcher Parallelschaltungen verwendet werden, desto größer wird zudem die polyrhythmische, audiovisuelle Komplexität. Auf einer CD hat Küntzel die Klänge der verschiedenen Arbeiten des Zyklus LIGHTS & SOUNDS zusammengestellt. Sie zeigt, wie wichtig die Kombination der beiden Dimensionen des Akustischen und des Visuellen sind. Das hängt eng mit dem verwendeten akustischen Material zusammen. Die piezoelektrischen Schallwandler, mit denen Küntzel in diesem Zyklus arbeitet, sind auf Dauer sehr monoton. Sobald die akustische Dimension alleine steht, zeigt sich zudem, daß diese Polyrhythmen trotz aller Komplexität eine extreme Statik aufweisen.

THE SHOUTING CHRISTMAS STARS

Auch die Installation in der Ausstellung „Ein Treppenhaus für die Kunst“ im niedersächsischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst in Hannover (2000) bezog die gesamte Raumsituation ein. Dazu stellte Tilman Küntzel ein ganzes Ensemble aus Leuchtobjekten zusammen. Er beschränkte sich auf die Gestaltung der beiden Wände gegenüber den Aufzügen und der großen Fensterfront der hinteren Glasfassade, ohne die vorhandene architektonische Situation des aus den frühen fünfziger Jahren stammenden Gebäudes mit der beschwingten Eleganz des Treppenhauses und der fließenden Spiralbewegung der freitragenden elliptischen Treppe zu stören. Auf den ersten Blick konnte man fast meinen, man habe es mit einer aus der Entstehungszeit des Gebäudes stammenden Wandgestaltung zu tun. Das spektakuläre Moment dieser Arbeit zeigte sich erst, wenn man die Klanginstallation in Betrieb setzte.

Wie bei einem Deckenfries waren an beiden Wänden einmal 15 und einmal 16 identische Objekte horizontal bandartig angeordnet. Das vor die Objekte gehängte strukturierte Glas betonte die Horizontale weiter, zugleich brachte es die Konturen und Farben der Objekte zum Verschwimmen: Sie wirkten wie große Blumen in intensiven Farben von geradezu malerischer Qualität. Unterhalb der beiden Objektbänder in einer Höhe von ca. 40 cm über dem Boden bis knapp über Kopf ragten insgesamt 93 kleine weiße Halbkugeln reliefartig aus den beiden glatt verputzten weißen Wänden hervor. Beim Nähertreten war die Struktur der kreisrunden Objekte mit einem Durchmesser von ca. 30 cm besser zu erkennen. Wenn man hinter das Glas blickte, zeigte sich, daß Küntzel für diese Installation sogenannte Weihnachtssterne verwendet hatte, die in der Adventszeit in vielen Fenstern bunt aufleuchten. Sie bestehen aus konzentrisch um die Mitte herum angeordneten bunten Metallstreifen und Glühbirnen in passenden Farben; einmal an den Stromkreis angeschlossen, leuchten sie in unregelmäßigen Rhythmen auf.
Ein Teil des Glühfadens in den Glühbirnen dieser „Sterne“ besteht aus einem Bimetallstreifen, dessen Temperaturempfindlichkeit wie eine Form der Random-Steuerung wirkt. Der Bimetallfaden erwärmt sich zusammen mit der Glühbirne; ist eine bestimmte Temperatur erreicht, führt das zur Unterbrechung des Stromkontaktes, die Birne erlischt und kühlt sich ab, bis das Bimetall den Stromkontakt wieder herstellt. Nach einer Phase des Erwärmens, die bei Zimmertemperatur vielleicht vier oder fünf Sekunden dauert, sind die Phasen zwischen zwei Zustandswechseln kaum länger als der Bruchteil einer Sekunde. Je mehr bimetallgenerierte Lichter verwendet werden, desto unübersichtlicher wird das Geschehen. Es kommt zu einer quasi statistischen Verteilung von aufleuchtenden und erlöschenden Lampen.

Für die SHOUTING CHRISTMAS STARS hat Küntzel die Weihnachtssterne in klingende Objekte verwandelt. An die Bimetalle sind piezoelektrische Schallwandler angeschlossen, die in Hannover in die Halbkugeln an den Wänden eingebaut waren. Aus den Rhythmen der Geräusche und Lichter entstand ein komplexes audiovisuelles Muster, eine für das menschliche Auge und Ohr kaum nachvollziehbare Polyrhythmik. Anders als die meisten Klangkunst-Arbeiten im öffentlichen oder – wie hier – im halböffentlichen Raum, die mit einem ahnungslosen Passanten rechnen, der eher zufällig auf das ästhetische Geschehen aufmerksam wird, handelte es sich hier um eine bewußte Inszenierung. Erst mit dem Drücken des grünen Knopfs auf der mitten im Raum plazierten, nicht ganz hüfthohen Konsole wurde der Stromkreis eingeschaltet. Dies bewirkte eine spektakuläre Eröffnung: Alle Birnen der Weihnachtssterne leuchteten auf, gleichzeitig ertönte aus den kleinen Halbkugeln in den Wänden ein buntes Gemisch aus schnarrenden, surrenden, fiependen und sirenenartigen hohen und tiefen Frequenzen.

Nach der Phase des ruhigen Betrachtens waren die mit dem Knopfdruck abrupt einsetzenden Klänge geradezu schockierend. Doch schon nach wenigen Augenblicken zerfiel der stehende Lichtklangakkord in ein komplexes Muster von ständig neuen Klang- und Lichtkombinationen, das in seiner bunten Mischung aus grellen Farben und Klängen an die Atmosphäre auf einem Rummelplatz erinnerte und die gewohnte kontemplative Kunstrezeption heftig konterkarierte. Weitere Eindrücke stellten sich beim Umhergehen im Raum ein. So wie die Objekte hinter dem Glas deutlicher zu erkennen waren, wenn man näher an sie herantrat, so spreizte sich das Klanggeschehen beim Herantreten an die Wand. Die Klänge der Piezos, in deren direkter Nähe man sich befand, waren leicht zu orten, die weiter entfernten bildeten ein undurchdringlich wirkendes Gemisch einander überlagernder Signale. Umgekehrt erhielt man erst in einiger Entfernung von der Wand einen Gesamteindruck von dem Geschehen. Im Wechsel von Annäherung und Distanzierung ließen sich einzelne Klänge, die man an der Wand identifizieren konnte, in einen neuen, differenzierteren Gesamteindruck integrieren.

NEOPHONE RAUMINSZENIERUNG

Auch in der NEOPHONEN RAUMINSZENIERUNG 2001 in Bremen kombinierte Küntzel visuelle und auditive Vorgänge zu komplizierten Rhythmen. Schon räumlich unterschied sich die Situation deutlich von der in Hannover. Statt im halböffentlichen Treppenhaus eines Ministeriums präsentierte Küntzel die Arbeit in Bremen in den geschlossenen Räumen der Städtischen Galerie im Buntentor. Bei den Galerieräumen handelte es sich um zwei große, hohe, hintereinanderliegende und ineinander übergehende Räume.

Die Bremer Installation präsentierte sich als fortlaufende Bespielung des Galerieraums. Beim Betreten der abgedunkelten Ausstellungsräume fand sich der Besucher sofort mitten im Geschehen, so daß sich Verlauf und Gestaltung erst allmählich erschlossen. Ausgangspunkt dieser Arbeit war das „Ping“, das man manchmal beim Starten einer Leuchtstoffröhre hören kann. Für diese Installation hat Küntzel vor Ort vorgefundene Elemente aufgegriffen: Er integrierte die Beleuchtungskörper des vorderen, langgestreckten Raums, zwei Reihen von der Decke hängender Leuchtstoffleisten, und ergänzte sie durch einige am Boden gruppierte Röhren. Wie in Hannover hatte er auch in Bremen akustische Vorgänge mit bereits bestehenden, nur leicht modifizierten visuellen Prozessen verbunden. Dazu machte er die Startvorgänge der Leuchtstoffröhren mit Hilfe von Mikrophonen, Verstärkern und Lautsprechern im ganzen Raum hörbar.

Die Röhren an der Decke leuchteten alle zwei bis drei Minuten für ca. zehn Sekunden auf; die Röhren, die sich am Boden befanden, waren so manipuliert, daß sie nie richtig zum Leuchten kamen. Das typische Flackern bildete so ein markantes Element der ganzen Installation. Vorgeschaltete Relais unterbrachen die Stromversorgung dieser Röhren regelmäßig, so daß es nur alle zwei Minuten zu Flackerphasen von jeweils einer Minute kam. Dadurch entstanden immer neue Konstellationen zwischen den verschiedenen Rhythmen der im Raum plazierten Röhren. Im vorderen Bereich der Installation lehnte ein Ensemble mit drei, im mittleren eines mit zwei Röhren an der Wand. Im hinteren, etwas kleineren und eher quadratischen Raum war eine Gruppe von acht Röhren auf dem Boden angeordnet. Bei diesen drei Gruppen befanden sich die Starter zusammen mit Mikrophonen, Mikrophonvorverstärkern und 1-Watt-Verstärkern in verschlossenen Gläsern. Über Druckkammerlautsprecher waren die Geräusche des Startvorgangs außerhalb der Gläser gut zu hören. Dieses Geräusch unterschied sich zudem deutlich von dem, das die Starter in der Deckenbeleuchtung produzierten. Wie die Leuchtstoffröhren selbst waren hier auch die Lautsprecher an den von der Decke herabhängenden Aluminiumschienen befestigt.

Im Vergleich mit der Installation in Hannover lassen sich weitere Besonderheiten dieser Arbeit verdeutlichen. Auffällig ist dabei besonders, daß Küntzel in Bremen auf die in Hannover entfaltete Vielfalt der verwendeten Farben und Klänge verzichtet und statt dessen mit nur wenigen Geräuschen und ausschließlich mit dem Licht der Leuchtstoffröhren arbeitet. Umgekehrt ist die räumliche Gestaltung weitaus komplexer als in Hannover, wo die Licht-Klang-Objekte an den Wänden befestigt waren. In Bremen nutzte Küntzel dagegen den Raum in seiner gesamten Höhe und Tiefe bis hinauf zur Decke, um die sich vielfältig überlagernden Rhythmen der flackernden Neonlichter und die verstärkten Startgeräusche der Röhren in ihrer ganzen Komplexität zu präsentieren: sobald man in einen anderen Teil des Raums wechselte, traten andere Rhythmen in den Vordergrund, ohne daß das Gesamtgeschehen seinen Charakter veränderte.

Trotz oder vielleicht auch gerade wegen dieser sehr genau und wohlüberlegt eingesetzten Komponenten war der Eindruck der Installation sehr spektakulär. Wegen der Dunkelheit hatte man beim Betreten der Galerieräume zunächst Schwierigkeiten, sich zu orientieren. Die sich ständig ein- und ausschaltenden Leuchtstoffröhren wirkten wie ein Blitzlichtgewitter, das die Geräusche der Startvorgänge unaufhörlich begleitete. Nach einiger Zeit gewöhnten sich die Augen an die Dunkelheit und die ständig aufflammenden Lichter; beim Umhergehen im Raum konnte man die Vorgänge aus unterschiedlichen Perspektiven erleben.

Polyphonie von Raum und Zeit

Die Diskussion um die Unterscheidung von Klangskulpturen und Klangräumen zählt seit langem zu den zentralen in der Klangkunst diskutierten Fragen. Bei Küntzel stellt der Raum durchweg eine zentrale ästhetische Dimension dar, gerade die mit Hilfe von Klangobjekten realisierten Raumarbeiten zeigen erneut, daß diese Unterscheidung kaum wirkliche ästhetische Relevanz besitzt. THE SHOUTING CHRISTMAS STARS und NEOPHONE RAUMINSZENIERUNG, aber auch DREI RÄUME – DREI FARBEN beruhen auf der konsequenten Integration des Raums in das audiovisuelle Konzept.

Küntzel beschränkt sich meist auf wenige, sorgfältig aufeinander abgestimmte Elemente. Insbesondere mit der Kopplung von visuellen und akustischen Prozessen bei den bimetallgesteuerten Lichterketten und den Leuchtstoffröhren bietet er ein prägnantes Konzept für eins der zentralen Themen der Klangkunst, der Gestaltung des Verhältnisses von akustischen und visuellen Phänomenen. Im Kern geht es beide Male darum, Klang und Licht als parallel geschaltete Vorgänge zu behandeln. Diese werden damit zu zeitgebundenen Objekten, die in ganz ähnlicher Weise „komponiert“ werden können. Eine Situation, die für beide, für den Klang wie für das Licht, ungewöhnlich ist. Denn ebenso wie Klänge nur selten als Objekte behandelt werden, begreifen wir Licht und Farbe gewöhnlich nicht als zeitgebundene Phänomene. Gerade der parallele Verlauf und die Übereinstimmungen in der Behandlung des musikalischen und des visuellen Materials machen dem Besucher nachdrücklich bewußt, daß er diese Prozesse gewöhnlich als unabhängig voneinander verlaufende erlebt, weshalb die Dynamik ihrer Beziehungen sich nur schwer nachvollziehen läßt.

Die Rauminszenierung ergibt sich bei THE SHOUTING CHRISTMAS STARS und der NEOPHONEN RAUMINSZENIERUNG aus einer genau kalkulierten Gruppierung der Objekte zu einzelnen im Raum angeordneten Ensembles. Beide Male wird die Integration des Raums durch wenige, gezielte und wohlüberlegte Eingriffe erreicht. Diese Eingriffe dienen dazu, die Objekte im Raum zu plazieren, sie setzen insofern die Unterscheidung zwischen Objekt und Raum voraus. Bei THE SHOUTING CHRISTMAS STARS spielt Küntzel mit einer kühlen Ästhetik der Reduktion, indem er Anklänge an die abstrakte Malerei durch Verwendung von Objekten unterläuft, die gerade umgekehrt mit spektakulären Effekten spielen. Die Sterne hängen hinter strukturiertem Glas, so daß man zunächst nur abstrakte Farben und Formen wahrnimmt, bis die grellbunte Mischung der Piezos eine tiefgreifende Irritation bewirkt, da man sich abrupt in die Welt der Kirmes mit Achterbahn, Autoscooter und Karussels versetzt sieht. Dagegen meint man in Bremen beim Betreten der NEOPHONEN RAUMINSZENIERUNG zuerst, man sei in ein Feuerwerk hineingeraten. Hier gibt es weder Anfang noch Ende, so daß man erst ganz allmählich erfaßt, wie sich das Geschehen räumlich und zeitlich gliedert. Die zeitliche Anlage bleibt insofern offen, als sich kein exakt festgelegter Gesamtablauf beobachten läßt, vielmehr ergeben sich immer neue Konstellationen zwischen den Verlaufsformen der einzelnen Leuchtstoffröhrenensemble. Dagegen erschließt sich die räumliche Anordnung der einzelnen „neophonen“ Elemente dieser Inszenierung nach einiger Zeit ohne weiteres.

Tilman Küntzels Rauminstallationen beruhen auf schlüssigen Konzepten, in denen der Künstler sein ausgeprägtes Formbewußtsein mit den grellen Materialeffekten seiner Objekte in einen ästhetischen Diskurs eintreten läßt, der auf hohem Abstraktionsniveau die untergründige Beziehung zwischen Pop- und Autonomie-Ästhetik erneuert.

In:
Strukturgeneratoren und andere Allegorien,
monographischer Katalog zum Werk Tilman Küntzels,
Saarbrücken 2002